Ich will dich töten, wenn der Hass übernimmt: Routine
Thomas Krause erwachte, als sich die Spannung in seinem Rücken zur vollen Härte aufbaute. Es war nicht der Wecker, nicht die Geräusche aus dem Treppenhaus, sondern dieser dumpfe, stechende Druck entlang der Wirbelsäule, der ihn zwang, die Augen zu öffnen.
Er drehte sich stöhnend zur Seite, ließ die Beine aus dem Bett gleiten und griff zielsicher zur Schublade neben der Spüle. Die Packung Ibu 800 lag zwischen alten Einkaufszetteln, einer verbeulten Taschenlampe und einem halb leeren Blister Tramadol. Zwei Tabletten reichten heute nicht. Er schluckte drei, trocken. Dann kalter Kaffee hinterher.
Die Wohnung war still. Anne war längst wach, das wusste er. Er hörte sie zwar nicht, aber spürte ihre Anwesenheit – als Spannung in der Luft, als Schweigen, das lauter war als Worte.
Treppenhaus
Beim Verlassen des Hauses fiel sein Blick nach oben. Vierter Stock, die Dachterrasse – der Wachturm. Seine Eltern. Immer wach, immer mit Blick auf das, was er tat oder ließ. Sein Vater stand draußen und trank ein Bier, als hätte er gewartet. Ein kleiner Gruß. Ein kleines Nicken. Ansonsten nur Beobachtung.
Thomas’ Kiefer spannte sich. Wieder dieses unsichtbare Protokoll, das oben geführt wurde. Eine wiederkehrende Prozedur, die ihn tagtäglich einholte. Niemals hätte er gedacht, dass dies der Preis sei, in ein Haus mit seinen Eltern zu ziehen. Aber hier war er nun. Die Arbeit war – auch wenn er sie nicht mehr leiden konnte – die Flucht aus dieser Situation.
Werkstatt – 9:00 Uhr
„Na, Hausmeister Krause, wie läuft’s im Familienbetrieb?“ Kollege Andy lachte über seinen eigenen Witz. Thomas lachte mit, wie immer. Er wusste, der Spitzname sollte ihn ärgern – aber so lange sie lachten, hatten sie Respekt. Dachte er zumindest.
Beim Heben des Wagenhebers schoss ihm ein brennender Schmerz vom Kreuzbein bis in die Schulter. Er ließ sich nichts anmerken, presste die Lippen zusammen, arbeitete weiter. Später, in der Pause, nahm er eine Tramadol aus dem Spind. Dritte in dieser Woche. Zweite Packung.
Donnerstag – Heimweg, 17:30 Uhr
Die Einfahrt war wie immer blockiert. Ronny hatte sein Rad wieder mitten in den Weg geschmissen. Thomas trat es wortlos zur Seite. Die Vorderradspeichen knirschten. Oben im ersten Stock, nur eine Wand entfernt, lebte Ronny wie ein Maulwurf – immer dunkel, immer verraucht, immer unpünktlich mit der Miete. Sein Vater hatte versucht, ihn loszuwerden. Vergeblich. Seitdem verfolgten die Krauses einen anderen Plan.
18:00 Uhr – Werkstatt hinterm Haus
Donnerstag war heilig… Die Jungs kamen pünktlich. Zwei Kästen Bier, selbstgedrehte Joints, Boxen mit Bassdruck. Thomas stellte seinen E30 in Szene, ließ den Motor aufheulen, während Willi ihm zunickte und an seinem Bucket von Kentucky Fried Chicken nagte. „Krank, was du aus dem Ding rausgeholt hast.“ Thomas grinste, klopfte aufs Dach. „Erste Sahne. Nächstes Projekt wird der M5 vom Alten. Wenn ich ihn rankrieg.“
Anne war nicht zu sehen, wie nie, wenn sich die Jungs trafen. Die Kinder hatten sich zurückgezogen. Maja schlich kurz über den Hof, sah ihren Vater, drehte kommentarlos wieder um.
Der Nachbar
Das Treffen lief wie immer ab: Karten, Bier, Rauch. Früher war auch Ronny dabei, der Nachbar aus dem 1. OG – immer bereit für einen Joint, ein Bier, einen dummen Spruch. „Ich opfere mich zum Schutze der Jugend“, pflegte er zu sagen, bevor er sich die nächste Line zog.
Aber Ronny war unzuverlässig. Miete zu spät, Zusagen gebrochen, Lügen bei jeder Gelegenheit. Wenn man ihn zur Rede stellte, war er weg. Thomas konnte ihn nicht leiden. Nicht nur wegen der Vergangenheit, sondern aus Prinzip: Loyalität zur Familie. Das Haus gehörte seinen Eltern.
Willi war der Zwist egal. Ronny Renner war unterhaltsam, und die Kombination Thomas-Ronny hatte ihren Reiz. Darum lud Willi ihn häufig ein, einfach runterzukommen und dumm zu quatschen.
Wenn das Garagentor spät in der Nacht wieder zufiel, wusste keiner mehr, worüber gesprochen wurde. Nur dass es laut und lustig war.
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