Ich will dich töten, wenn der Hass übernimmt: Entscheidung
Die Tage nach der Feier zogen sich zäh dahin. Anne sprach kaum noch ein Wort mit Thomas. Ihr Blick war abwesend, ihre Gesten mechanisch. Die Kinder spürten es. Maja wurde stiller, Finn klammerte sich mehr an Anne. Thomas hingegen versuchte, die Kontrolle zurückzugewinnen – durch Stärke, durch Einschüchterung, durch Besitz.
Als erstes nahm er Anne den Autoschlüssel ab. „Wenn du meinst, du kannst hier tun, was du willst – denk nochmal nach.“ Seine Worte waren leise, aber messerscharf. Anne sah ihn nur an, sagte nichts. Doch etwas in ihr kippte.
Am nächsten Morgen kam sie nicht zur Arbeit. Und auch am Tag darauf nicht. Sie ließ sich krankschreiben – doch sie wusste, es war mehr. Es war ein innerer Stillstand. Ein Streik gegen ihr eigenes Schweigen.
Julian erreichte sie nicht. Also wandte er sich an Willi. Der zögerte keine Sekunde und klingelte bei Anne. Im Flur, bei heruntergelassenen Rollläden und abgestandener Luft, trafen sich Bruder und Schwester.
„Was ist los, Anne?“ „Ich schaff das nicht mehr.“ „Was hat er getan?“ „Er nimmt mir alles, Willi. Ich fühl mich wie eingesperrt. Ich hab niemanden mehr. Er ruft sogar meine Freundinnen an und macht mich schlecht vor ihnen. Ich sei psychisch krank und solle mir Hilfe suchen…“
Willi sah sie lange an. Dann sagte er: „Doch. Mich. Wenn du was zum Wohnen brauchst – komm erstmal zu mir. Ich hab genug Platz. Und das mit dem Auto bekommen wir auch hin – Ich hab meinen alten Wagen noch. Ist nicht hübsch, aber fährt. Den bekommst du.“
Er sagte es ruhig, doch in ihm brodelte es. Seit Jahren hatte er gesehen, wie sich Thomas veränderte. Vom kumpelhaften Freund zum misstrauischen Kontrollfreak. Willi hatte oft geschwiegen – aus Loyalität, aus Hilflosigkeit. Jetzt war damit Schluss.
Noch am selben Abend stellte er Thomas zur Rede. Auf dem Hof, zwischen Grillresten, Ölspuren und leeren Bierflaschen.
„Was soll das mit dem Auto?“ „Gehört ihr nicht. Gekauft hab ich das. Es läuft auf meinen Namen.“ „Du willst sie kontrollieren.“ „Sie lässt sich vögeln von ‘nem anderen, und ich bin der Böse? Und warum gibst du ihr dein altes Auto? Ich dachte, wir sind Freunde.“
Willi schüttelte den Kopf. „Du machst alles kaputt, Thomas. Und du merkst es nicht mal.“
Er wollte noch wissen, warum er so verlogen war und sich an Annes Freundeskreis vergriff, doch Thomas drehte sich wortlos um, lief zurück ins Haus. Oben auf der Terrasse standen seine Eltern – die ständige Beobachtung. Der Vater mit verschränkten Armen, die Mutter mit starrem Blick.
Später, in der Küche, sagte seine Mutter zu Anne: „Noch niemand hat einen Krause verlassen. Du bist Mutter. Du gehörst hierher. Ich weiß er kann schwierig sein, aber zusammen schaffen wir das.“
„Du weißt, was er mit mir macht“, erwiderte sie leise. „Und du schaust weg. Immer.“
Anne antwortete nicht weiter. Doch sie sah ihr lange in die Augen. Dann stand sie auf. Und begann zu packen. Nur das Nötigste. Sie hatte schon darüber nachgedacht, aber diesmal tat sie das, was sie so oft angedroht hatte. Während sie ihre Tasche schloss, nahm sie die dünne Kette mit dem Ehering ab und legte sie leise aufs Sideboard.
Die Kinder wurden befragt. Von Großeltern, von Thomas. „Willst du bei deiner Mutter leben, die uns kaputt macht?“ – Worte wie Gift, eingeschenkt in kleinen Dosen. Doch Maja schwieg. Und Finn klammerte. Abends im Kinderzimmer sah sie, wie Maja eine alte Zeichnung von sich und ihrer Mutter an die Wand pinnte – stiller Protest, stille Hoffnung.
Anne schrieb Listen. Organisierte Hilfe. Vereinbarte Termine mit dem Jugendamt. Sie sprach mit einer Beratungsstelle. Mit ihrer Chefin. Mit Willi. Mit Julian.
Zum ersten Mal seit Jahren spürte sie: Da ist ein Weg. Noch nicht frei. Noch nicht leicht. Aber sichtbar.
Und sie würde ihn gehen. Sie wusste nur noch nicht, was Thomas in seiner Verzweiflung planen würde. Doch mittlerweile war ihr das egal. Sie wusste, wie rachsüchtig und falsch er sein konnte. Jahrelang hatte sie die Wut und das Unvermögen von Thomas ertragen müssen. Wie er über seine Freunde und Eltern in Abwesenheit herzog und sie auf übelste beschimpfte. Sie wusste, wie er sein in Ungnade gefallenes Umfeld mit Nichtachtung strafte, ignorierte ehemalige Freunde und Bekannte, als wären sie Luft. Kein Gruß, kein Blickkontakt. Genau wie sein Vater.
Und plötzlich sah sie es ganz klar: Die Geschichte würde sich nicht ändern. Nicht ohne ihren Bruch damit.
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