Critical Mass in Berlin: Polizeikontrolle und falsche Behauptungen
Heute war ich wie viele andere bei der Critical Mass in Berlin dabei. Treffpunkt, gemeinsames Losfahren, das Übliche. Gegen 16:08 Uhr stoppte uns die Polizei an der Bülowstraße/Potsdamer Straße. Weiter ging es erst um 16:57 Uhr. Und wieder mal war ich der Depp, von dem der Ausweis verlangt wurde. Irgendwie muss auf meiner Stirn ein kleiner Hinweis versteckt sein?!
Polizeiaufgebot
Verwundert waren wir schon: Die Polizei fuhr mit drei bis vier Mannschaftswagen und mehreren kleineren Fahrzeugen auf. Unterm Strich standen fast mehr Polizisten auf der Straße als Radfahrende in der Gruppe. Ein unverhältnismäßiges Bild – zumal die Critical Mass weder eine Gefahr darstellte noch eine Anmeldung erfordert hätte.
Ablauf und Einschüchterung
Mein Ausweis wurde verlangt, meine Personalien aufgenommen. Auf die Frage nach einem Verantwortlichen erklärte ich, dass es bei der Critical Mass keinen gibt – es handelt sich um ein loses Zusammentreffen. Später wollten die Beamt:innen noch wissen, seit wann die Critical Mass existiert. Meine Antwort: ungefähr seit 2005, glaube ich – ich selbst fahre seit 2015 mit.
Nach rund 30 Minuten kam plötzlich der Hinweis, es gebe einen „Zeugen“. Damit im Raum: eine Ordnungswidrigkeit. Welcher Vorwurf, blieb offen. Nur die Frage, ob ich mich äußern wolle. Da ich nicht wusste, wozu genau, habe ich es gelassen. Nach rund 40 Minuten bekam ich meinen Ausweis zurück. Wir mussten dann noch warten, bis ein Begleitfahrzeug bereitstand. Gefragt nach der Route, wählte ich den direkten Weg über die Potsdamer Straße zurück zum Brandenburger Tor. Dort folgte die Drohung: Wenn wir „noch einmal einen Einsatz provozieren“, solle ich die Kosten des Einsatzes tragen.
Mein eigentliches Problem: Ich sollte erneut zum Verantwortlichen erklärt werden. Mit dieser Masse an Polizeikräften ist das reine Einschüchterung. In so einer Lage musst du extrem aufpassen, was du sagst. Sonst steht die Aussage von 15 Polizisten gegen dich – und du hast die Arschkarte. Zumal drei Beamte gleichzeitig mit meinem Ausweis beschäftigt waren – eine perfekte „Stille Post“-Situation. Du weißt nie, was die Polizei in ihrer Ahnungslosigkeit daraus konstruiert.
Wir hätten auch darauf bestehen können, ohne Eskorte weiterzufahren – wie es in Potsdam bereits der Fall war. Ich wollte jedoch die Prozedur abkürzen und habe deshalb in die Runde gefragt, ob wir über die Potsdamer Straße zurück zum Brandenburger Tor fahren wollen. Im Nachhinein denke ich: Für denjenigen, der kontrolliert wird, wäre es besser, wenn der Rest einfach weiterfährt und ihn dort stehen lässt. Damit wäre automatisch klargestellt, was die Critical Mass ist – keine organisierte Veranstaltung mit einem Verantwortlichen, sondern eine lose Fahrt von Einzelnen.
Falsche Behauptungen
Die Polizei behauptete, eine Verbandsfahrt müsse angemeldet werden. Das ist falsch.
- § 27 StVO: Ab 15 Radfahrenden gilt die Gruppe als Verband – Sonderrechte beim Fahren, keine Anmeldepflicht.
- § 29 StVO i. V. m. VwV-StVO: Genehmigungspflicht nur bei mehr als 100 Teilnehmenden oder wenn erhebliche Verkehrsbeeinträchtigungen zu erwarten sind.
Quelle: VwV-StVO zu § 29
Damit ist klar: Eine Critical Mass mit weniger als 100 Teilnehmenden ist nicht genehmigungspflichtig.
Rechte im OWi-Verfahren
- Personalien müssen angegeben werden – mehr nicht.
- Es gilt das Recht zu schweigen (§ 55 OWiG).
- Ein Vorwurf muss konkret benannt werden, sonst ist keine Anhörung wirksam.
- Kosten können nur auferlegt werden, wenn eine nachweisbare Pflichtverletzung vorliegt (Polizeikostengesetz Berlin). Drohungen ohne Grundlage sind reine Einschüchterung.
Randnotiz
Die einzige wirkliche Behinderung des Verkehrs ging an diesem Tag nicht von den Radfahrenden aus, sondern von der Polizei, die fast eine Stunde lang die Straße blockierte bzw. den Verkehrsfluss einschränkte.
Fazit
Die Kontrolle zeigte: Bei der Polizei herrscht Unsicherheit über die Rechtslage. Fakt ist:
- Ab 15 Radfahrenden gilt Verband, keine Anmeldung. D.h. 16 Personen dürfen einen Verband bilden.
- Anmeldepflicht erst ab 100 Teilnehmenden oder außergewöhnlicher Beeinträchtigung.
Alles andere sind falsche Behauptungen. Es ist schade, dass die Berliner Polizei offenbar nicht richtig geschult wurde – wenn selbst ich als „popliger Radfahrer“ mehr über Anmeldungen und Verbandsfahrten weiß.