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Zwischen Traum und Realität: Flucht in die Träume

Zwischen Traum und Realität: Flucht in die Träume

Das leise Summen des Rechners füllte den Raum, eine monotone Melodie, die Willi mehr Trost spendete als jedes Gespräch. Er war IT-Techniker, ein Mensch, der sich in der Welt aus Zahlen, Codes und Algorithmen wohler fühlte als unter Menschen. Die Tastatur unter seinen Fingern war sein Portal, eine Verbindung in Welten, die weit weg waren von den Enttäuschungen und Verletzungen, die sein reales Leben prägten.

Es war die Nacht, die ihm gehörte. Wenn die Welt um ihn herum verstummte, lebte er auf. In diesen Stunden konnte er vergessen, warum er sich hier, in dieser kleinen Wohnung, zwischen Stapeln von Fachbüchern und blinkenden Server-Lichtern, verschanzt hatte. Sein Leben war ein Netz aus Einsamkeit und Routine geworden, aber das war in Ordnung. Hier war er sicher. Hier konnte ihn niemand verletzen.

Willi war schon immer ein Träumer gewesen. Als Kind hatte er in den Wolken Tiere gesehen und Geschichten erfunden, die niemand verstand. Doch mit den Jahren hatte er gelernt, diese Träume zu verstecken. Erwachsene Träumer waren keine Helden, sondern Versager – das hatte er oft genug gehört. Seine Kindheit war von ständigem Umziehen geprägt. Neue Orte, neue Schulen, neue Gesichter – und immer wieder die gleichen Probleme. Das ständige Wechseln hatte es ihm schwer gemacht, Freundschaften zu schließen. Stattdessen war er oft Ziel von Mobbing und Gewalt geworden. Die anderen Kinder hatten in ihm das perfekte Opfer gesehen: still, unsicher und nie bereit, sich zur Wehr zu setzen.

Auch bei der Bundeswehr wurde es nicht besser. Statt Kameradschaft und Zusammenhalt erlebte Willi dort die schlimmsten Zustände, die er je kannte. Das rohe Klima, die ständige Härte – es war keine Welt, in der er sich behaupten konnte. Stattdessen zog er sich weiter zurück, verschloss sich noch mehr und flüchtete immer tiefer in seine Gedankenwelt. Es war leichter, sich auf Dinge zu konzentrieren, die er kontrollieren konnte, wie Technik und Computer.

Mit der Zeit hatte er eine weitere Methode gefunden, der Realität zu entkommen: Er kiffte. Das Gras half ihm, die Welt um sich herum auszublenden, tiefer in die digitale Welt einzutauchen und seine Gedanken schweifen zu lassen. Es war ein Ritual geworden – ein Zug, ein Blick auf den Bildschirm, und schon war er weg, verloren in den unendlichen Weiten des Internets. In der digitalen Welt gab es keine Enttäuschungen, keine Vertrauensbrüche, nur Logik und Ordnung. Es war ein Ort, an dem er die Kontrolle hatte.

Der Vertrauensbruch, der ihn hierhergeführt hatte, lag wie ein Schatten über jedem Gedanken. Daniela, seine Frau – seine einstige Verbündete, seine Vertraute – hatte sein Herz zerschmettert. Jahre hatte sie eine Affäre mit seinem besten Freund gehabt. Der Gedanke daran war wie ein Stein in seinem Magen, schwer und unbeweglich. Freunde hatten ihn darauf aufmerksam gemacht. Freunde, denen er zuerst nicht glauben wollte. Doch die Beweise waren eindeutig gewesen, und die Wahrheit hatte ihm den Boden unter den Füßen weggezogen.

Als wäre das nicht genug gewesen, erfuhr er später von einem weiteren Fehltritt. Daniela hatte auch mit einem Arbeitskollegen eine Affäre gehabt. Jemandem, mit dem Willi bei gemeinsamen Abenden gelacht und Vertrauen geteilt hatte. Es war dieser zweite Verrat, der ihn endgültig in die Knie zwang. Nicht nur Daniela hatte ihn enttäuscht, sondern gleich zwei Menschen, die er zu seinem engsten Kreis gezählt hatte. Seitdem fiel es ihm schwer, überhaupt noch jemandem zu vertrauen. Die Vorstellung, sich erneut zu öffnen, erschien ihm wie eine Einladung, wieder verletzt zu werden.

Seitdem war sein Leben ein Puzzle, das er nicht mehr zusammensetzen konnte. Er hatte sich von Daniela getrennt, war ausgezogen, doch die Erinnerungen folgten ihm wie ein Gespenst. Warum hatte er es nicht bemerkt? War er wirklich so blind gewesen? Oder hatte er es nur nicht sehen wollen? Fragen, die keine Antworten fanden, egal wie oft er sie sich stellte.

Willi schob die Gedanken beiseite und starrte auf den Bildschirm. Eine Karte war darauf zu sehen, ein kleines Projekt, an dem er in seiner Freizeit arbeitete. OpenStreetMap, eine digitale Karte der Welt, die jeder mitgestalten konnte. Es war ein kleiner Beitrag, den er für die Allgemeinheit leistete. Aber vor allem war es eine Ablenkung. Beim Kartieren von Wegen, Gebäuden und kleinen Details konnte er vergessen, was hinter ihm lag.

Sein Hund Theissen lag zu seinen Füßen und schnarchte leise. Der treue Vierbeiner war sein einziger echter Begleiter in diesen Tagen. Theissen forderte nichts von ihm, stellte keine Fragen, brauchte keine Erklärungen. Er war einfach da, ein stiller Zeuge von Willis Rückzug in die Einsamkeit.

Draußen begann es zu regnen. Die Tropfen prasselten gegen das Fenster, ein beruhigendes, rhythmisches Klopfen. Willi lehnte sich zurück und schloss die Augen. Die Welt um ihn herum verblasste, und für einen Moment war da nur der Regen, das Summen des Rechners und das leise Atmen von Theissen. Hier war er zu Hause. Hier war er sicher.

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