Individualverkehr und die Suche nach Rechtfertigung
Letztens hatte ich wieder einmal eine lebhafte Diskussion über unseren Individualverkehr und den schwinden Raum innerhalb unserer Städte. Mein Gesprächspartner hat mitbekommen, dass ich mich vor einiger Zeit von meinen Auto getrennt hatte und seither ganz gut ohne zurecht komme. Für ihn ein Umstand, welchen er nicht verstehen konnte. Schließlich brauche er ein Auto, wenn er zur Arbeit fährt. Neugierig fragte ich, ob er Dienstleister sei oder wechselnde Tätigkeitsorte hätte. Beides verneinte er, aber 15km zur Arbeit könne er nicht mit dem Fahrrad oder den Öffentlichen meistern. Also fragte ich wie lange er denn so im Stau steht, schließlich ist der Verkehr in den deutschen Ballungsgebieten kein Zuckerschlecken. Darauf erwiderte er, die Parkplatzsuche sei auch kein Spaß. Folglich würde er schon 1-2 Stunden im Auto verbringen. Das war dann zu viel, der angesammelte Frust brach aus ihm heraus und die Diskussion wanderte in die Extreme. Er schimpfte über unsere “verblödeten und korrupten” Politiker, die “beschissenen” Radfahrer, welche ständig bei rot über die Ampel fahren würden und über die Busspuren bzw. Pop-up-Radwege, welche die Stausituationen nur verschärfen würden.
Verständlicher Weise regt man sich darüber auf, wenn man wie alle anderen mit den Fahrzeug unterwegs ist und die Lorbeeren für die eigene Engstirnigkeit ernten darf. Klar ist auch, dass es schon äußerst nervig sein kann, wenn mehr Zeit in die Parkplatzsuche investiert wird, als für die eigentliche Fahrt. Ich denke jedoch, es nicht zielführend, wenn man selbst zum Mobilitätsproblem gehört. Warum muss man dann noch in die Extreme wandern? Wäre man ehrlich zu sich selbst, würde man erkennen, dass man nicht immer mit dem Auto unterwegs sein müsste und diese Art der Fortbewegung äußerst Ressourcenintensiv ist. Wichtig ist nur, zu begreifen, dass der Straßenverkehr sich nicht entspannen wird, wenn weiterhin jeder mit dem Auto fahren möchte. Der Platzbedarf dieser Mobilitätsform ist schlichtweg zu groß. Nicht nur, dass wir die Straßen in gewissen Perioden ständig erweitern müssten. Auch die Möglichkeiten zum Parken müssten ständig erweitert und von den Straßen entfernt werden. Ein weiteres Problem ist die Bewertung der fossilen Brennstoffe. Selbst wenn die Steuern für diese Energieform nicht abgezogen werden, ist sie immer noch zu günstig. Diese Energie ist endlich und “jedes” Förderland mauschelt bei der Ermittlung der vorhandenen Ressourcen. Wir gefährden folglich nicht nur unsere Umwelt sondern auch unsere unsere Wirtschaft, wenn wir weiterhin auf dieses Pferd setzen.
Bewertung der Arbeitsleistung
Gehen wir mal von einem Verbrauch von ca. 6 Litern auf 100km aus. So würden wir uns mit einem Liter ca. 17km bewegen können. 1 Liter Sprit kostet ca. 1,50€ inkl. Steuern, der Steueranteil liegt bei ca. 2/3. Bauen wir uns mal ein Gedankenkonstrukt auf. Wir gehen davon aus, dass unser Auto diese 6 Liter auf 100km schafft und dieser Wert eher ein Kleinwagen- bzw. Hybridwagenverbrauch ist. Trotz der Klimakrise verbrauchen Autos seit je her immer die selben Mengen an Brennstoff, wenn nicht sogar mehr. Die Fahrzeuge werden immer größer und schwerer und verbrennen dadurch sämtliche Optimierungen. Zurück zu unserer Energiepreis-Betrachtung. Für die Bewertung des Energiepreises, ziehen wir nur die Kosten für den Energieträger und die bereitgestellte Kraft ein. Wir bewerten hier nicht die möglichen Geschwindigkeitsvorteile, welche je nach Einsatzort existieren könnten.
Das Angebot
Jemand bietet euch also für euren Arbeitsweg eine Mitfahrgelegenheit auf einem Fahrrad an. Ihr müsst nicht treten und könnt euch entspannt auf der Rückbank ausruhen und die Natur bewundern. Der Weg beträgt ca. 17km und ihr könntet sogar nebenbei Arbeiten, weil euch jemand fährt. Wieviel wäre euch dieser Service wert? Würdet ihr davon ausgehen, der Fahrer würde für 1,50€ wieder für euch Tätig werden? Könnt ihr überhaupt einschätzen wie viel Kraft der Fahrer aufwenden müsste, um euch zu bewegen? Ich stelle diese Fragen häufig und in der Regel bekomme ich Aussagen zu hören, die im Sinn von purer Ahnungslosigkeit und bewusster Ignoranz zeugen. Die drei prominentesten Aussagen stelle ich mal bereit:
- Woher soll ich wissen, wie anstrengend solch ein Transport ist?
- Je nach Aufbau können 40kg – 100kg plus 2 Personen anfallen. Ein Kleinwagen wiegt so im Schnitt 1000kg – 1500kg ohne Insassen. Wäre man selbst schon damit überfordert, den eignen Körper 5 Stockwerke hoch zu tragen?
- Ich bin nicht gut in sowas…
- Klar, schon mal eine Einkaufstüte nach Hause geschleppt oder Nachrichten gesehen?
Jeder weiß, was körperliche Arbeit bedeutet. Es ist nur sehr unangenehm, wenn einem klar wird, wie faul man geworden ist und was man dafür in Kauf nimmt. Mal ehrlich, im Grunde ist es den meisten doch völlig gleichgültig, ob die nachfolgenden Generationen einen intakten Lebensraum erhalten. Auf Greta schimpfen ist da doch viel leichter. Was können wir schon mit der Realität anfangen?! Laut Wissenschaftlern wäre der Hitzedom in Kanada und die damit verbundenen 49,6°C ohne unseren CO2 Eintrag in die Atmosphäre nicht so sehr wahrscheinlich gewesen.
- Klar, schon mal eine Einkaufstüte nach Hause geschleppt oder Nachrichten gesehen?
- Keine Ahnung, wie schnell ich mit dem Rad wäre…
- Personen die keine Ahnung vom Radfahren haben, bewegen ihr Stadtrad (ca. 17kg – 25kg) mit ca. 16km/h und sind i.d.R. nach einer Stunde am Ende. Die Knie bzw. Beine “explodieren”, der Hintern tut weh, die Hände schmerzen und der Schulterbereich bzw. Nacken meldet sich. Warum das so ist? Das Rad ist falsch eingestellt, man benutzt einen zu schweren Gang und verkrampft sich, weil man die Griffpositionen nicht wechselt. Würde man demzufolge eine Person transportieren, könnte man mit der dreifachen Belastung rechnen. Natürlich wären dann auch keine 16km/h mehr drin, sondern eher 12km/h. Das Ergebnis: Schlotternde Beine und eine Anfrage auf ein Sauerstoffzelt am Ende der Tour.
Das Resultat
Ich kann nur von mir ausgehen, also bewerte ich mal die Angelegenheit für mich. Würde ich zufrieden sein, wenn ich meinem Fahrer 1,50€ zahlen würde? Denke nicht. Auch glaube ich kaum, dass der Fahrer seinen Energiehaushalt für diesen Kurs lange aufrecht erhalten könnte. Wusstest ihr, dass die effizientesten Verbrenner Schiffsdiesel sind? Diese schaffen ca. 54% der Energie aus dem Diesel zu verwerten, der Rest geht als Abwärme verloren. So ein Schiffsdiesel ist sehr nach am theoretischen Maximum für diesen Maschinentyp. Mehr ist einfach nicht herauszuholen! Ein Auto schafft ca. 34% – 45% je nachdem ob es ein Benziner oder Diesel ist. Wie können wir es also als gerechtfertigt und völlig normal ansehen, eine endliche Ressource die soviel mehr als nur Brennstoff ist, für diesen Kurs und völlig ineffizient zu verfeuern? Mal abgesehen von den Klimaproblemen, welche diese Form der Energiegewinnung mit sich bringt. Unsere wirtschaftliche Bewertung von Energie ist so fehlgeleitet, dass keine adäquate Diskussion möglich ist. Was soll man auch von Leuten erwarten, welche Atomkraft nur als Wasserkocher und Weltenzerstörer nutzen können. Stattdessen traut man sich noch mit dem Flugzeug zu fliegen oder Radfahrer zu diskreditieren die mehr Raum in unserer Infrastruktur fordern. Flugautos besitzen wir nicht und selbst wenn diese existieren sollten, wo sollten die ganzen Fahrzeuge einen Parkplatz finden, wenn unsere einzige Lösung immer mehr Verbrauch heißt? Klar, der ein oder andere würde sogar den Beischlaf mit seinem Fahrzeug vollziehen. Ich bezweifle jedoch, dass man(n) sein Auto im Wohnzimmer abstellen würde, wenn er seine Partnerin behalten möchte. Vor allem geht der Trend ja zum 2. und 3. Fahrzeug. Die Zeiten der billigen fossilen Brennstoffe ist vorbei, dass müssen wir und auch unsere Politik begreifen.
Was hat uns das verfeuern von fossilen Brennstoffen gebracht? Außer eine verschobene Sicht auf unsere Umwelt, haben wir Kriege, Flüchtlinge, instabile Staaten, zerstörte Ökosysteme, Pandemien und Tote (Mensch und Tier) am laufenden Band produziert. Das ist der mehr oder weniger versteckte Preis, den wir in vielen Formen zahlen. Wir überreichen den nachfolgenden Genrationen ein Trümmerfeld. Trauen uns dennoch die Jugend als Vollidioten zu betiteln, weil diese mit den Fingern auf die stinkenden Bereiche zeigen. Fragt sich nur, wer hier der Vollidiot ist?!
Die Infrastruktur
Zurück zum Platzangebot in den Städten. Wir haben uns mittlerweile an die Busspuren in Berlin gewöhnt. Beschwert haben wir uns zum größten Teil dennoch, wenn diese frisch installiert wurden. Wo sollen wir Parken und was ist mit der Stauproblematik? Keine Sekunde verschwendet der ein oder andere daran, dass durch den eigenen Egoismus und ohne Busspur, diverse Insassen im Bus oder im Taxi penetriert werden, weil diese andernfalls mit einem im Stau stehen würden. Stattdessen zeigen einige, was sie wirklich von den Regeln des Zusammenlebens halten und blockieren diese Sonderspuren. So manch einer kachelt mit einem Affenzahn auf diesen Spuren entlang und hofft den schläfrigen Augen des Gesetzes zu entgehen. Man stellt also sein eigenes Wohlbefinden über das Wohl vieler, welche zur Entlastung des Straßenverkehrs beitragen. Aufgepasst es wird noch besser, jetzt hat man ein neues Feindbild. Der gemeine Radfahrer und seine Pop-up-Radwege! Einige wollen einfach nicht begreifen, dass das Platzangebot in der Stadt anders organisiert werden muss. Zudem ist es für Radfahrer sicherer, wenn diese auf der Straße fahren. Sie sind somit in den Verkehr integriert und werden nicht durch abbiegende Fahrzeuge vom Rad geholt.
Stattdessen rechtfertigen sich Autofahrer ständig vor mir. Weil ich mich dem Rad unterwegs bin und andere nicht? Es ist mir ehrlich gesagt völlig egal, womit und wie jemand herumfährt. Nur weil ich mit dem Rad fahre, bin ich nicht euer Mülleimer oder der Messias aus Radelhausen. Es gab schon immer Personen die sich anpassen konnten und andere die es nicht können. Mir trotz der vorhandenen Informationen irgendetwas vom Pferd zu erzählen find ich ehrlich gesagt sehr engstirnig und asozial. Und ja, jeder hat seine persönlichen Grenzen. Der eine kollabiert schon, wenn er keine 300km/h mehr fahren kann. Andere bekommen halbseitige Lähmungen, wenn der Auspuff und der Hubraum fehlt. Den Trump, Bolsonaro und AfD-Sprech will der ein oder andere Gesprächspartner vielleicht aber nicht mehr hören. Es sind immer die selben Sprüche, nur mit anderem Anstrich. Fadenscheinige Argumente, welche nur darauf abzielen sich nicht mit der Realität beschäftigen zu müssen. Steht doch dazu, dass es euch völlig Hupe ist was den nachfolgenden Generationen blüht. Euer Gesprächspartner hat das schon längst erkannt. Die Geschichten von Politikern die sich vom Fahrdienst kurz vor die Haustür fahren lassen und dann auf das Rad umsteigen, kenne ich auch schon. Ja und ich weiß, dass es diese Spezialisten gibt. Was ändert dieser Umstand an unserer derzeitigen Situation? Nichts! Verantwortung wiegt schwer, übernehmen umso mehr…
Greenwashing ist nicht nur was für Großkonzerne wie IKEA, Bayer, McDonald’s oder Coca-Cola. Auch Politiker haben entdeckt worauf wir so stehen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass auch ich noch nicht ganz auf meine Coke verzichten möchte. Beim Fisch habe ich mittlerweile meinen Konsum endgültig eingestellt. Nachdem ich mitbekommen habe, dass die Fischsiegel nur Augenwischerei sind und über 50% der Plastikabfälle von der Fischereiindustrie kommen, war meine Schmerzgrenze erreicht. Wir haben viel zu lange dem grenzenlosen Wachstum und der Zerstörung von Lebensraum gefrönt und lassen andere dafür zahlen. Diese Ungerechtigkeit hat das Bundesverfassungsgericht und teilweise auch ihr festgestellt. Andernfalls würdet der ein oder andere sich nicht ständig rechtfertigen, wenn ein Radfahrer, Veganer, Vegetarier, Jugendlicher oder wer auch immer dessen Weg kreuzt. Nur weil jemand an den Klimawandel, die Kreislaufwirtschaft oder Wissenschaftlern glaubt, muss man diesen nicht mit Mythen vom Stammtisch entgegnen. Ich habe jedenfalls noch nicht erlebt, dass wissenschaftliche Themen durch Alkohol und Koks leichter verständlich wurden. Stattdessen wiederholen sich solche Typen immer wieder und glauben einem vom heiligen Gral zu erzählen. Nur weil ich etwas öfter höre, wird es nicht automatisch zur Wahrheit!