Im Sommer 2005 hatte ich einen Unfall, bei dem ich mir den rechten Unterarm subtotal amputierte. Mal abgesehen von der Angst, zu verbluten, war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst, was das für mich bedeuten würde. An diesem Abend verlor ich fast 3 Liter Blut und musste von einem Spezialisten aus der Mikrochirurgie zusammengeflickt werden. Bis heute sind die Nerven nicht vollständig nachgewachsen. Jedoch lernte ich schnell, mit dem neuen Umstand umzugehen. Selbst wenn man zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Meinung ist. Man geht einen Schritt nach dem anderen und ehe man sich versieht, kommt man im Alltag ohne größere Probleme zurecht.
Der Unfall
Wie schon erwähnt, wurde mir durch den Unfall der Unterarm so stark verletzt, dass große Adern und Sehnen durchtrennt wurden. Zum Zeitpunkt des Unfalles bemerkte ich diesen Umstand jedoch noch nicht. Ich war der festen Überzeugung ich konnte noch alles benutzen. Auch nach der Narkose bemerkte ich keine Einschränkungen, welche mich beunruhigt hätten. Der einzige Unterschied war, dass der Arm fixiert war und beim Ziehen der Sehnen geschmerzt hat. Klar ich hatte Schmerzen, aber aus Erfahrung wusste ich, wie ich damit umzugehen habe. Ich atmete sie weg. Es blieb mir auch nichts anderes übrig, denn die Stellen die Schmerzen verursachten, waren ja taub. Der Phantomschmerz kam immer mal in Schüben und die ersten Nächte waren ein Traum.
Als der Arzt dann zur Visite vorbeikam und mir erklärte, was er alles zusammenflicken musste, wurde es mir langsam klar. Die rechte Hand war für eine lange Zeit ohne Funktion. Ich machte mir Gedanken was das für mich bedeuten würde, aber erst nach 2 Wochen Aufenthalt im Krankenhaus bemerkte ich was das wirklich bedeutet. Ich bin Raucher, von daher war meine erste Amtshandlung die Zigarette danach. Ich glaube am 2. Tag. Leider hat mich der Arzt erwischt und mir erklärt, dass er meine Adern zusammengeflickt habe. Folglich sei Nikotin nicht so zuträglich, da beim Zusammenziehen der Adern, durch das Nikotin, die Naht verkleben könnte und die Hand dann absterben würde. Ich bin ehrlich 6 Monate später, war ich wieder der “Alte”.
Der einarmige Bandit
Immer wenn ich die rechte Hand benutzen wollte, sei es nur zum Festhalten von Kleinigkeiten. Sagte mir der Körper, das ist keine gute Idee. Wenn Sehnen durchtrennt und wieder zusammengebracht werden, weichen diese in den ersten Tagen auf. Man kann es sich wie bei einer gekochten Nudel vorstellen in denen Fäden stecken. Zieht man nur etwas zu stark an der Nudel, war es das. Nach einiger Zeit verfestigen sich die Sehnen wieder und man kann Stück für Stück die Belastung erhöhen.
Nach meinem 2-wöchigem Aufenthalt im Krankenhaus begann also die Reha für mich. Ich hatte kein Gefühl mehr in meinen Fingern und bewegen war ein Tabu für mich. Vor allem musste ich darauf achten, dass ich die rechte Hand nur aus eigener Kraft belastete. Kein Abstützen, kein Tragen und kein Dehnen, nur das was die rechte Hand zu ließ, war in Ordnung. Zu dem Zeitpunkt, war das nicht viel und ich bekam es mit der Angst zu tun. Ich hatte nun eine Behinderung, mit der ich den Rest meines Lebens herumlaufen musste.
Kopfkino und Verzweiflung
Ich wäre nicht mal mehr in der Lage meinen Sohn sicher zu tragen oder meinen Job zu machen. Jedes stoßen des rechten Armes verursachte starke Schmerzen, also hielt ich den rechten Arm immer in Schonhaltung vor meinem Bauch. Die Kralle nannte ich sie irgendwann, weil durch die verkürzten Sehnen nur eine gebeugte Haltung möglich war.
Kleinigkeiten, wie das Regeln der Lautstärke an meiner Musikanlage war mit dieser Hand nicht möglich. Das Abwischen meines Hinterns, wurde zu einem Problem oder das Schalten meines Wagens. Kurz um, ich fühlte mich wie ein Minderbemittelter, welcher zu blöde war, die einfachsten Aufgaben adäquat hinzubekommen. Mit der Zeit wurde die linke Hand also meine Haupthand und ich lernte damit umzugehen. Aber der Kopf fing immer wieder an, mir einen Strich durch die Rechnung zu machen. Ich war nicht einmal in der Lage meine Computer-Maus richtig zu bedienen.
Der Aufbau
In der Reha lernte ich, was ich mir zutrauen kann. Aber der entscheidende Hinweis, kam von meinem Arzt. Er sagte mir, nachdem ich ihm erklärte das ich für die einfachsten Dinge zu blöde war. Alles was die rechte Hand aus eigener Kraft schafft, ist gut für die Hand, der Körper reguliert das schon. Wenn sie sich gut fühlen, dann wachsen die Nerven auch schneller wieder nach. Der Arzt gab mir also eine Bedienungsanleitung in die Hand und ich wusste jetzt bin ich an der Reihe.
Ich stimulierte also meine Nerven mit Erbsen und anderen Stoffen, um die Nerven zum Wachsen anzuregen. Ein merkwürdiges Gefühl, wenn man weiß man müsste etwas spüren, aber nichts davon passiert. In den Reha Sitzungen hatte ich eine nette Therapeutin, welche mich gut motivieren konnte. Und so kam es dann in einer Sitzung, auch für meine Therapeutin, zu einem neuen Umstand.
Der Befreiungsschlag
Wenn man sich starke Verletzungen zuzieht, verwächst im ersten Moment alles miteinander. Das bedeutet folglich, dass die Sehnen an dem umgebenden Gewebe anhaften und so nur eingeschränkt arbeiten können. Hier setzt die Reha an, man muss diese Wucherungen aufbrechen und das funktioniert nur durch Bewegung und Schmerzen. Denn nur durch die Bewegung lernt der Körper, welches Gewebe benötigt wird und welches nicht benötigt wird. Wo müssen zusätzliche Verstärkungen verbaut werden und wo werden keine weiteren Strukturen benötigt. Diesen Umstand nehmen wir in der Regel nicht so deutlich wahr. Aber jeder Sportler kennt diese Funktionsweise, ohne Training keine Lorbeeren.
Meine Therapeutin motivierte mich also meine Hand zu ballen, was natürlich aufgrund der verwachsenen Sehnen nicht so gut funktionierte. Aber dieses Mal, sollte es anders laufen. Der Arzt sagte, alles was ich aus eigener Kraft schaffe ist gut. Also investierte ich alles an Kraft, was mir die rechte Hand bot. Plötzlich rissen die Sehnen von meiner Haut bzw. dem umliegenden Gewebe ab. Es hörte sich an, wie Stoff, der zerrissen wurde und ich konnte meine Hand fast zu einer Faust ballen.
Wir beide waren so erstaunt, dass sie mich völlig verunsichert fragte, ob alles in Ordnung sei. Klar sagte ich, aber ich bemerke das ich innerlich wieder blutete. Alles halb so wild dachte ich mir, dass kennst du schon und du kannst deine Hand wieder halbwegs ballen. Da meine Therapeutin eh schon verunsichert war, ließ ich sie nicht an meiner Wahrnehmung teilhaben. Nachdem ich meinem Arzt dann erzählte, dass ich häufiger merkte, wenn ich blute. Sagte er ganz überzeugt, das sei nicht möglich, schließlich sei es überall im Körper feucht. Ich mache gute Fortschritte und solle so weiter machen.
Ich dachte mir nur, klar ist das möglich es ist ja nicht der Körperkern. Man bemerkt doch den Temperaturunterschied und die Extremitäten sind immer etwas kühler als der Körperkern und demzufolge auch das Blut. Mein Arzt war so von seiner These überzeugt, dass ich ihm in dem Glauben ließ. Schließlich hat er Medizin studiert und ich bin der Patient, der keine Ahnung vom eigenen Körper hat. Hätte er meinen Arm genauer beobachtet hätte er die leichte Blau- bzw. Braunfärbung gesehen. Für mich als Hilfesuchender, war es immer wichtig meinem Gegenüber, also dem Fachmann, „alles“ zu erzählen, damit er sich ein vollständiges Bild machen kann. Kommt nicht immer gut an, jedenfalls habe ich den Eindruck gewonnen. 😉
Das Gesprächsthema
Meine Therapeutin, sprach mit ihren Kolleginnen über ihre Erfahrungen und machte mich beim nächsten Mal scherzhaft darauf aufmerksam, dass sie so etwas nicht nochmal hören wolle. Ich sei das Gesprächsthema Nummer 1 in ihrer Praxis und alle hätten Angst mit mir zu arbeiten. Ich erzählte ihr, was mein Arzt mir erklärte, dass ich glücklich sei, endlich wieder mehr mit meiner Hand anstellen zu können. Für sie war es eine neue Erfahrung, die sie so noch nicht kannte.
Der Körper passt sich an
Wie immer, wen der Körper mit Einschränkungen zu tun hat, stellt er sich auf die Veränderungen ein. Du kannst nichts fühlen, also lernst du über den Druck und die Reibung zu fühlen, wie die Oberfläche beschaffen ist, mit der du umgehst. Nach einem halben Jahr traute ich mir wieder zu, mit Metall zu arbeiten. Man musste halt verstärkt aufpassen, weil man nicht mehr gewarnt wurde, wenn etwas heiß wurde. Bei Schleifarbeiten beispielsweise, machte ich öfter einen Temperaturtest über mein Gesicht, wie warm meine Hand war. Auch sonst musste ich vermehrt aufpassen, weil ich halt nicht bemerkte, wenn ich mich in ungünstigen Situationen für meine Hand befand.
Irgendwann kamen auch weitere Empfindungen dazu. Heiße und kalte Oberflächen verursachten eigenartige Gefühle. Manchmal piekte mein Mittelfinger, wenn ich mit dem Zeigefinger etwas Heißes berührte usw. Ich stellte mich also Stück für Stück auf die Veränderungen ein. Auch das Schneiden der Fingernägel ist teilweise noch unangenehm. Am Mittelfinger sticht es halt, wenn man diesen Fingernagel trimmt.
Lass dir Zeit
Heute habe ich kaum noch Einschränkungen, die mich stören und mittlerweile sind auch 10 Jahre vergangen. Das Gefühl in den Fingern ist immer noch etwas durcheinander, aber es beeinträchtigt mich nicht mehr. Du lernst halt zu interpretieren, was da gerade passiert. Alles was ich früher für unmöglich gehalten habe, kann ich heute wieder erledigen. Man muss nur daran arbeiten und darf sich nicht bemitleiden.
Dein Körper gibt dir in jeder Lage ein Feedback und du selbst entscheidest, wie gut du vorankommst! Wenn du dich nicht benutzt, dann kommst du auch nicht voran.